Haushaltsrede zum Kreishaushalt des Jahres 2013
Sehr geehrter Herr Dr.Tebroke, liebe Fraktionskollegen, meine Damen und Herrn,
vor wenigen Wochen war ich im Neandertaler-Museum und erstaunlicherweise hat man mich wieder herausgelassen, obwohl ich ein Stück weit wohl ein Neandertaler bin.
Viele Forscher sind nämlich davon überzeugt, dass insbesondere die Europäer auch Neandertaler als Vorfahren haben – Genanalysen deuten darauf hin, dass wir ihnen unsere helle Haut verdanken. Interessant ist daher zu sehen, ob wir in den letzten 100.000 Jahren nennenswerte Fortschritte gemacht haben. OK, wir haben jetzt Autos und Handys. Wir können fast 6 Milliarden Menschen ernähren. Fast alles ist besser als in der Steinzeit, aber so manche fundamentale Errungenschaft ist nicht wirklich neu.
ieles deutet darauf hin, dass bereits Neandertaler verletzte Gruppenmitglieder nicht ihrem Schicksal überließen, sondern sie pflegten. Im Irak wurde beispielsweise ein Mann gefunden, dessen linke Augenhöhle verletzt war und dessen rechter Unterarm fehlte. Weitere Knochenbrüche wurden offensichtlich geschient, so dass er noch Monate, vielleicht sogar Jahre weiterlebte. Die Krankenpflege hatte unter den Neandertalern eine lange Tradition.
Doch was, wenn alte Gruppenmitglieder nicht mehr aufstehen konnten, die Gruppe aber weiterziehen musste? Wurden sie dann zurückgelassen? Skelettreste von Steinzeitsenioren sind äußerst selten. Einige Forscher sehen darin einen Hinweis, dass Neandertaler alte oder gehbehinderte Mitglieder ihrer Gruppe nicht bis zum Tod gepflegt haben. Sie starben demnach dort, wo ihre Kräfte sie endgültig verließen oder ihnen die Beine versagten - allein. Dieser aus unserer Sicht grausame Brauch könnte in der Gemeinschaft aus Jägern und Sammlern in Hungerzeiten nötig gewesen sein, um nicht das Überleben der gesamten Sippe zu gefährden. Dies ist übrigens nicht wirklich mein Wissen, sondern nach dem von Guttenberg-Verfahren ermittelt (zitiert nach: Planet Wissen, Jennie Theiss, Stand vom 22.10.2012 aus der Sendung: Von Menschen und Affen - Eine Familienchronik, 26.10.2012).
Wenn man die Entwicklung der Altenpflege beobachtet, mit immer schwieriger werdender und in vielen Fällen nicht zufriedenstellender Pflegesituation für die Alten in unserer Gesellschaft, kommt man zu dem Ergebnis, dass wir vielleicht noch nicht so viel weiter sind. Den Gesellschaften des biologisch Modernen Menschen wird nämlich nachgesagt, dass sie sich aufopfernd um die Alten gekümmert haben – in Zeiten knapper Nahrung alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Unsere Gesellschaftsstrukturen und auch unsere Gesetzgebung geben die Altenpflege aus der Familien-Gruppe an kommerzielle Anbieter in der Gesellschaft. Die Pflegenden arbeiten oft mit hohem Engagement in schwierigem Umfeld und verdienen dabei nicht sehr gut. Die Relation von Pflegenden zu Alten ist nicht gesund – zu Lasten beider Gruppen. Unsere Gesellschaft kämpft trotz dieser Mängel mit massiven Finanzierungsproblemen, was manche Investoren nicht daran hindert, in dem Geschäftsfeld Altenpflege sehr profitabel zu sein.
Auch in anderen Aspekten haben wir scheinbar nichts dazugelernt. Die Neandertaler ebenso wie der Moderne Mensch produzierten in Zeiten des Überflusses jede Menge Müll – gut für die heutigen Forscher, da er bis in die heutige Zeit überdauert hat und viel über ihre Gesellschaft verrät. Da die Bevölkerungsdichte sehr viel geringer war als heute – man ist sich wohl nur zu den großen Herdenwanderungen begegnet - und alle Materialien natürlichen Ursprungs waren, war das Problem sicher nicht so schwerwiegend wie in unserer Gesellschaft. Trotz dieses Müllbergs haben selbst die Neandertaler es geschafft, einzelne Standorte mehr als 20.000 Jahre lang zu bewohnen, allerdings nur mit Unterbrechungen. Vielleicht haben sie im wahrsten Sinne des Wortes zwischendurch gewartet, bis Gras über die Sache gewachsen war, da die Müllsituation zum Himmel stank. Bei einigen Kommunen und Entsorgern, gottseidank nicht im Rheinisch Bergischen Kreis, ist das ja heute im Müllbereich auch noch so. Allen Forschungsergebnissen zufolge haben sie ihr Rohmaterial – Steine, Pflanzen und Tiere – weit vollständiger verwertet und wieder-verwertet als unsere heutige Gesellschaft. Die Wege zwischen den einzelnen Fertigungsstufen waren extrem kurz. Trotzdem werden die Steinzeitmenschen für ökologische Katastrophen ihrer Zeit verantwortlich gemacht, wie die Ausrottung von Tierarten, die sie zum Leben brauchten. In den Sommerlagern gab es Tiere im Überfluss, wie konnte man glauben, dass sie irgendwann nicht mehr zurückkehren würden, oder in zu kleiner Zahl, um das Überleben der Neandertaler-Gruppe zu sichern. Fallen Ihnen Parallelen zur aktuellen Situation auf? Es gab in der Vergangenheit doch immer genug Geld, Fläche, Kinder …
Wir leben in einer weit arbeitsteiligeren Welt, unsere Stoffströme sind kompliziert. Wir arbeiten überwiegend nicht mehr in Sichtweite unserer Wohnung, sondern in Industrie- und Gewerbegebieten. Transporte über große Distanzen und Entsorgung sind kein technisches Problem mehr, sondern nur noch ein betriebs- und volkswirtschaftliches. Nichtsdestoweniger brauchen wir kurze Wege für Produkte, Verwertung und Wiederverwertung von Produkten und Nebenerzeugnissen (Falls Sie sich fragen was Nebenerzeugnisse sind: das klingt nur einfach besser als Abfall).
Die Steinzeit-Gruppen mit schlechter Planung und Logistik (Nahrung, Feuer, Zelte, Kleidung) dürften aus dem Genpool verschwunden sein, da sie den nächsten Winter nicht überlebt haben. Umso erstaunlicher, wie schwer sich unsere Gesellschaft mit der Planung von Zusammenarbeit tut. Dies liegt sicher an der weitaus höheren Komplexität unserer Stoffströme, aber auch am „Sommerlagerverhalten“ unserer Ahnen. Wir gehen immer noch mit unserer Umwelt um, als gäbe es unbegrenzt viel davon.
Alle Volkswirte der letzten 70 Jahre haben die zyklischen Strukturen unserer Wirtschaft (wir nennen das Konjunktur) beschrieben. Trotzdem planen wir Politiker und Verwaltungen immer noch, als würden zwei gute Jahre in Folge den Beginn paradiesischer Zustände bedeuten. Erstaunlicherweise bedeuten zwei schlechte Jahre für uns nicht den Anfang vom Ende, aber den Anfang der Suche nach demjenigen, dem man die Schuld daran in die Schuhe schieben kann – vermutlich aus dem gleichen Grund gibt es so viele Schamanen als Moorleichen.
Wenn in der Steinzeit jemand Rücklagen gebildet hat, war der maximale Zeithorizont ein Jahr – dann war das letzte Trockenfleisch vergammelt. Später, in den wohlorganisierten Reichen des mittleren Ostens mit lagerfähigem Getreide, plante man manchmal für wenige Jahre – die Geschichte mit den 7 fetten und 7 mageren Jahren in der Bibel beschreibt einen Ausnahmeherrscher. Im Rheinisch Bergischen Kreis wäre er spätestens im zweiten Jahr einem Putsch seiner Statthalter zum Opfer gefallen, weil er die Reserven nicht verteilt hat.
Zurück zu unseren Gewerbegebieten der Steinzeit:
Ob man eine neuen Standort bezieht, ob man aus den Mammutzähnen Zelte oder Schmuck herstellt – das dürfte der Häuptling oder zumindest der Schamane entschieden haben. Wie viele unserer Gewerbegebiete haben ein Konzept – geschweige denn eins in das alle Kompetenz in der Kommune eingeflossen wäre? Kaum eines? So kommt es, dass Edelstahlverarbeiter neben Pferdestall und Kinderparadies neben Mineralölbetrieb steht und die LKWs viermal zurücksetzen müssen, um den Logistikbetrieb zu erreichen, weil er in engen Strassen am hinteren Ende liegt. Und wenn einer unserer Wunsch- und Zukunftsbetriebe ein High-Tech-Dienstleister für Auto, Telekom oder Medizintechnik ist – glauben wir denn wirklich der geht in dieses Gewerbegebiet?
Wenn unsere Steinzeitleute einen Spezialisten für die Bearbeitung von Feuerstein anwerben wollten, wäre der mit einem Platz zwischen den vergammelnden Resten der letzen Jagd zufrieden gewesen? Vielleicht kommt mal einer vorbei, dem das genügt – aber wahrscheinlich ist das nicht – und der beste seiner Zunft ist der vermutlich auch nicht.
Was der Rheinisch Bergische Kreis dringend braucht, ist die Zusammenarbeit der Kommunen, um die richtigen Betriebe für die Zukunft unseres Kreises anzusiedeln. Viele positive Signale und erste Fortschritte geben Grund zu Optimismus. Mindestens ebenso dringend wenn nicht noch dringender brauchen wir eine Überplanung bestehender Gewerbegebiete und eine Reaktivierung vorhandener Flächen. In den Konzepten der Landesregierung aus der Agenda 2010 heißt das Ziel „nachhaltige Gewerbegebiete“. Hat was mit Öko zu tun, vor allem aber mit Konzept und Disziplin. Prometheus, der Vorher-Denkende, hatte zwar Stress mit den Göttern, aber im Gegensatz zu seinem Bruder Epimetheus, dem Nachher-Denkenden, ist er berühmt geworden.
Als Exkurs: Prometheus Bruder hat übrigens die hübsche, künstlich hergestellte Pandora angeschleppt, die die nach ihr benannte Büchse mit in die Ehe brachte. Diese Mitgift hat so viel Flurschaden angerichtet, dass wir uns den Namen gemerkt haben. War aber halt ein bisschen spät…
Prometheus beweist: Fortschritt bedeutet erst Denken, dann konsequent Handeln, und auch: das löst nicht bei allen Mächtigen Begeisterung aus.
Auch wenn wir um bessere – besser geplante, konsequent implementierte, besser gemanagte, vielleicht interkommunale – Gewerbegebiete kämpfen, können wir verlieren – wenn wir nicht kämpfen, haben wir bereits verloren.
Und um zum Ende zu kommen (dem der Neandertaler und meiner Rede): Die Neandertaler haben vielleicht in ihrem letzten Sommerlager das Ende der großen Jagd begutachtet. Vielleicht war die Nahrung schon knapper als sonst, weil die Beutetiere ausgingen. Es könnte dann Streit entstanden sein ob die erfolglosen Jäger nichts mehr zu essen bekommen sollen oder der Oberhäuptling seine privaten Nahrungsreserven für den Winter als Rauchopfer verbrennen soll. Er hatte vielleicht welche, weil er vorausschauender gewirtschaftet hatte. Sie haben sicher für beide Fälle gehofft, die Götter würden ihr Leid sehen und ihnen helfen.
Wir streiten auch innerhalb unserer Fraktion derzeit darüber, ob eher der Offenbarungseid der Kommunen oder doch das Ausschütten der Rücklagen, also die Vernichtung des Handlungsspielraums beim Kreis quasi als Rauchopfer moderner Zeiten, den Bund, das Land oder zumindest die Wähler vom Leid der Kommunen überzeugt.
Den Neandertalern hat vermutlich die geopferte Nahrung im kommenden Winter bitter gefehlt. Gäbe es noch Neandertaler, gäbe es kein Museum.
Hoffen wir mal, dass ich nicht in ein paar Jahren in ein Kommunalmuseum gehen kann.
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